Auf dem Fahrrad zum Einsatzort
Ulrich Nafe: Ein halbes Jahrhundert Rettungsdienst beim Uelzener DRK
Ulrich Nafe ist ein wahres Urgestein des Uelzener Rettungsdienstes. Bereits mit 14 Jahren trat er 1957 dem Iserlohner Jugendrotkreuz bei, bevor er im März 1964 hauptberuflich seinen Dienst in Uelzen als Transportsanitäter begann. 31 Jahre lang war er in der Folge in verschiedenen Funktionen für das DRK-Uelzen tätig, bevor er aus gesundheitlichen Gründen erwerbsunfähig wurde und 1994 mit Ende 50 seine hauptamtliche Tätigkeit aufgeben musste. Bis heute ist er jedoch dem Rettungsdienst in Uelzen auf der ehrenamtlichen Ebene treu geblieben.
Herr Nafe, was hat Sie bewogen, gerade den Rettungsdienst als berufliches Ziel auszuwählen?
Ich war schon immer daran interessiert, kranken oder unfallgeschädigten Menschen helfen zu dürfen. Die Arbeit beim Jugendrotkreuz in Iserlohn hatte mir so gut gefallen, dass ich schon damals für mich entschieden hatte, mit 21, also dem damaligen Beginn der Volljährigkeit, hauptberuflich zum DRK zu gehen. Zuvor absolvierte ich zwar eine Ausbildung zum Postschaffner, aber dieser Beruf konnte mich nicht befriedigen.
Und wie landet man als Westfale dann ausgerechnet in Uelzen?
Als ich meine Arbeit als Postschaffner kündigte, sehr zum Leidwesen meiner Eltern übrigens, die gar nicht verstehen konnten, dass ich leichtfertig meinen sicheren Job als Beamter aufgeben wollte, begann ich mich bundesweit zu bewerben, bekam aber von überall her nur Absagen, bis dann vom Landesverband Niedersachsen plötzlich die Zusage kam, dass in Uelzen eine Stelle frei sei. So begann ich also im März 1964 meinen Dienst in Uelzen.
Wie muss man sich die Arbeit im Uelzener Rettungsdienst Mitte der 60er Jahre vorstellen?
Es gab in der Rettungswache in der Albertstraße ein Telefon mit der Notrufnummer „2151“. Wir hatten drei Fahrzeuge, je einen Mercedes 180 und 190 und einen VW-Bus. Erst drei Monate vor meinem Dienstantritt wurden die Fahrzeuge mit Funkgeräten ausgestattet, zuvor hingen an den Bahnübergängen im Landkreis Rotkreuz-Fahnen. Wenn man die sah, galt es schleunigst das nächste Telefon anzusteuern – das habe ich selber aber nicht mehr miterlebt. Die Einsatzfahrzeuge waren mit einem etwas größeren Verbandskasten ausgestattet, weiter gab es nichts.
Wir waren damals drei hauptamtliche Mitarbeiter. Jeder hatte zwei Tage hintereinander 24 Stunden Dienst, jeweils von acht bis acht, am dritten Tag nur bis 18 Uhr, sodass man sich abends etwas vornehmen konnte. Danach begann das wieder von vorne, wir hatten also alle drei Tage einen Abend frei.
Schildern Sie doch einmal einen typischen Notfalleinsatz jener Zeit …
Das sah in der Praxis dann beispielsweise so aus: Es wurde ein Unfall mit drei Verletzten in der Lüneburger Straße gemeldet. Dann bin ich von zuhause aus der Schillerstraße mit dem Fahrrad zum Unfallort gefahren, habe dort die Erstversorgung durchgeführt und die Verletzten beruhigt. Dann hieß es: „Moment, ich hole mal eben den Wagen“. Danach mit dem Fahrrad in die Albertstraße zur Wache, Fahrzeug rausholen und alles wieder ordentlich verschließen, denn das war Vorschrift. Zurück an der Unfallstelle die Verletzten bergen, einladen und zum Krankenhaus an der St. Viti Straße bringen. Dabei muss man auch wissen, dass wir Transportsanitäter in jener Zeit immer alleine unterwegs waren. Bei jedem Notfall musste also zuerst immer angefragt werden, ob auch jemand zum Anfassen zur Verfügung steht. Knapp neun Jahre lang war ich mit dem Rettungswagen alleine unterwegs.
Auch interessant finde ich, dass in dieser Zeit viel Wert auf die Etikette gelegt wurde. Ich musste also immer akkurat in Uniform mit Kappe und Schlips ausrücken. Gerade der Schlips hätte aber lebensgefährlich werden können, wenn sich da jemand dran festklammert. Aus diesem Grund wurden die Schlipse auch nur hinter dem Hemd angeklemmt.
Das klingt ja nach echtem Stress, wann fingen die Verhältnisse denn an, sich ein wenig zu entspannen?
Bereits 1966 kam ein kleiner Umbruch, da wurden die hauptamtlichen Kräfte auf fünf Mitarbeiter aufgestockt. Ein Hanomag Kombi ergänzte den Fuhrpark. In diesem Jahr hatte ich übrigens auch aus eigenem Antrieb in Uelzen das Jugendrotkreuz gegründet – geholfen hatten mir dabei die Erfahrungen aus der Iserlohner Zeit.
1971 wurde auch die Öffentlichkeit auf die prekären Verhältnisse aufmerksam, denn auf 100.000 Einwohner entfielen lediglich vier Krankentransporter. In Uelzen wurden daraufhin Stellen für zwei Wehrdienstverweigerer geschaffen, die zunächst natürlich noch ausgebildet werden mussten.
Was hat Sie während Ihrer langen Dienstzeit am meisten bewegt?
Die vielen nächtlichen Verkehrstoten auf dem Rückweg von der Diskothek „Mausefalle“ in Göddenstedt in den 70er Jahren, davon träume ich heute noch. Damals gab es ja so gut wie keine Polizeikontrollen auf den Dörfern, die haben sich da reihenweise totgefahren. Es gab ja auch noch keine Notfallseelsorger, man hatte das alles selber zu verkraften. Dabei sind es gar nicht einmal die schweren Verletzungen, die man zu sehen bekommt, sondern vor allem das Leid der verzweifelten Angehörigen. Auch die vielen Kinder, die in den häuslichen Gartenteichen ertrunken sind, machen mir zu schaffen. Teilweise wache ich heute noch mitten in der Nacht nassgeschwitzt auf und muss erst einmal duschen gehen.
Sie sind jetzt 71 Jahre alt, wann ist für Sie endgültig Schluss?
Keine Ahnung. Trotz meiner gesundheitlichen Beschwerden fühle ich mich immer noch fit. Mit dem Fahrrad habe ich zum Beispiel in den vergangenen 14 Jahren rund 24.000 Kilometer abgespult. Ich habe noch immer viel Kontakt mit den Hauptamtlichen und bin ebenfalls noch ab und an im Bereitschaftsdienst tätig. Wenn Not am Mann ist und ich gebraucht werde, dann komme ich.
Herr Nafe, vielen Dank für das aufschlussreiche und interessante Gespräch.
...im Gespräch mit Oliver Huchthausen